Participatory Project

LISTENING PROJECT

 

LISTENING PROJECT - Zuhören als produktive Kraft von Kooperation

LISTENING PROJECT
Zuhören als produktive Kraft von Kooperation
Ein partizipatorisches Projekt von Rudolf Giesselmann

Interview – metfrog.net Januar 2016

Herr Giesselmann, worum geht es in Ihrem Projekt ‚Listening Project‘?
Es geht um das Zuhören. Es geht um eine Frage: ‚Was ist anders, wenn in einem Gespräch über ein Thema dem Zuhören ein großer Raum eingeräumt wird?‘ Teilnehmer an dem Projekt erhalten möglicherweise Antworten auf diese Frage.
Für diese Dialoge gibt es einen Wohnwagen. Im Wohnwagen stehen sich zwei Stühle gegenüber, ansonsten ist er leer – und er ist auf einer Seite aufgeschnitten. Zuschauer stehen in einiger Entfernung so dass sie den Dialog mit ansehen nicht aber hören können. Zwei von ihnen gehen dann in den Wohnwagen und führen dort für z.B. 15 Minuten einen Dialog miteinander. Auf das Thema haben sie sich vorher verständigt oder sie generieren es zufällig aus Büchern oder Zeitungen, die im Wohnwagen zu diesem Zweck ausliegen.
Und was ist dann der Unterschied zwischen diesem Dialog und anderen Gesprächen?
Das wichtigste Element, das den Dialog im Wohnwagen anders macht, ist eine Sanduhr von 30 Sekunden. Diese Sanduhr hat zwei Aufgaben. Erstens kann sie vom Sprecher selbst, aber genauso auch vom Zuhörer jederzeit umgedreht werden. Ein Umdrehen der Sanduhr heißt: Die Rollen werden getauscht, der Sprecher wird zum Zuhörer und der Zuhörer wird zum Sprecher. Bis zu diesem Zeitpunkt muss sich der Zuhörer also keine Gedanken machen, wann er zu Wort kommt und der Sprecher muss nicht darauf achten nicht unterbrochen zu werden. Beide können sich ganz auf das Zuhören oder Sprechen einlassen. Die zweite, besonders wichtige Aufgabe der Sanduhr ist es bei jedem dieser Rollenwechsel Zeitmesser zu sein für eine Stille von 30 Sekunden. In diesen 30 Sekunden Stille können die am Gespräch beteiligten das Gehörte und Gesagte nachklingen oder nachhallen lassen und sozusagen sich selbst beim Denken zuhören. Der oder diejenige die dann als nächste spricht sagt also eher nicht das, was sie sagen wollte, sondern teilt etwas von dem mit, was entstanden ist, probiert aus, wie es damit weiter geht. Man muss also die Hand vom Geländer nehmen wie es auch bei jedem wirklichen Denken der Fall ist. Das ist nicht einfach und es braucht Mut aber deshalb macht es auch Lust auf mehr, wenn es im Miteinander gelingt. Neben dieser einen Sanduhr gibt es übrigens noch eine zweite von 15 Minuten, die der Zeitmesser für den ganzen Dialog ist.
Wie sind Sie auf dieses Projekt gekommen?
Der Gedanke dazu entstand auf einer Bank mit Meerblick an der Schottischen Küste. Auf einer kleinen Konferenz über Peer-Coaching gabe es eine Pause und ich saß dort mit Susan Tilley, einer anderen Teilnemerin und wir sprachen entspannt über alles, was uns so in den Kopf kam. Und dann war da dieser Gedanke, die Kraft des einander Zuhörens in einem Projekt erfahrbar zu machen. Vielleicht hatten sich hundert kleine Erfahrungen, Theoriefragmente aus vielen Jahren plötzlich überstürzt zusammen getan. Etwas anderes war es dann diesen Gedanken wichtig zu nehmen und damit etwas zu tun. Susans trockener Kommentar war da unbedingt hilfreich für den Start: ‚Wenn du anfängst, sag Bescheid, ich mache mit‘. Das war dann alles natürlich viel Arbeit, viel Überlegen zusammen und mit Anderen. Allein z.B. einen geeigneten Raum für den Dialog zu finden. Als mir bei der Suche dann ein ausgebrannter Wohnwagen begegnete, war es entschieden. In die eine Seite, die jetzt für den Dialog geöffnet wird, hatte das Feuer sogar schon ein Loch gebrannt.
Warum haben sie diesen Gedanken wichtig genommen?
Fast überall erlebe ich, dass das Sprechen im Mittelpunkt steht, fast kann man ‚die Beschallung‘ sagen, man hat eine Meinung, man will diese auch mal sagen, links orthodox organisiert heißt so etwas, glaube ich, ‚Überzeugungsarbeit leisten‘. Es gibt Rhetorik-trainings aber von Zuhörtrainings habe ich bisher nirgendwo etwas erfahren. Wenn man sich dann klarmacht, dass jedes Sprechen relativ sinnlos ist, wenn es nicht irgendwo adäquat gehört wird, erscheint mir vieles davon als relativ absurd. Gleichzeitig hatte ich auch viele Erinnerung an wunderbare Erlebnisse mit Zusammenarbeit und dem einander Zuhören. Daher stammt wahrscheinlich die Lust etwas mit dem Gedanken zu tun. Dann kam eine Menge Arbeit. Die größte Frage war natürlich nicht die Frage nach dem Raum, sondern die Frage nach dem Inhalt. Wie können wir solch einen Dialog organisieren? Wir können ja nicht mit einer Schulung beginnen, wir können auch nicht daneben stehen und Anweisungen erteilen. Wir versuchen das jetzt den Raum selbst und den Dingen darin zu überlassen, z.B. der kleinen Sanduhr von 30 Sekunden und es funktioniert, glaube ich.
Und was ist nun anders, wenn man so zuhört?
Wenn man dem Anderen zuhört, geht das nur wenn man offen ist, radikal offen. Man muss sich dabei wirklich in die Fremde begeben. Und immer ist die Frage, kann man dem Fremden Freund sein. Es ist auch immer die Frage kann ich dem Fremden in mir Freund sein. Beide, ich und der andere sind vielleicht anders, als ich es gedacht habe. Diese radikale Offenheit ist notwendig für Denken, für miteinander Denken in einem Dialog und für eine gelingende Kooperation von der alle Beteiligten profitieren. Ich weiß, dass diese Kooperation umso schwerer wird, je mehr man um die Macht streitet und es vielen in der politischen Auseinandersetzung als Absurd erscheint in dieser Art die Hand vom Geländer zu nehmen und sich selbst in dem Ringen und Denken nach Lösungen radikal offen zu begegnen. Aber für diejenigen, denen die Lösungen, die gerade angeboten alle nicht berauschend erscheinen, wäre es doch einen Versuch Wert – man sollte es vielleicht nicht sofort in der Öffentlichkeit tun, deshalb ist der Dialog im Wohnwagen auch außer Hörweite der Zuschauer; dass der Versuch aber unternommen wird, ist sichtbar. Eines kann ich vielleicht versprechen, wenn der Dialog gelingen sollte macht er einem Lust, Lust auf mehr Dialog und die Differenz zu meinem Gegenüber ist dann etwas, das einfach nur hilft und den Blick und die Vorstellung erweitert.

Mehr Informationen: www.artinprogress.info