Page 96 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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Dozentin an der Walkemühle tätig gewesen            Die vielen Neinstimmen, die sie bei der Ab-
            war, zu ihrer Verstärkung der Bruder von Frau       stimmung im März ‘33 gehabt hätten, rührten
            Minna Specht,  ein  Prof. Specht  aus  München      alle von der Walkemühle her. Die Walkemühle
            und der  damalige  Rechtsanwalt  Dr. Petzold        müsse also mit Stumpf und Stiel ausgerottet
            aus Magdeburg, der später nach dem Kriege           werden. Dann wurde zum Vortrag des Rechts-
            hier Präsident des Verwaltungsgerichtshofes         standpunktes   mir   das   Wort   erteilt.  Ich
            gewesen ist.                                        erläuterte dann, wie es war.

            Ich hatte mich nun schon vorher auf den Ter-        Dann zogen sich der Regierungspräsident und
            min vorbereitet, und ich war mit dem Regie-         der Gauleiter allein zu einer Besprechung  zu-
            rungspräsidenten darüber einig geworden,            rück, kamen nach einer Viertelstunde wieder,
            dass wir ja nun irgendwie diese Beschlag-           und der Regierungspräsident verkündete, der
            nahme legalisieren müssten. Da war das ein-         Beschwerde könne nicht in vollem Umfang
            zige, worauf man sich stützen konnte, eine          stattgegeben werden. Es müsse beschlag-
            Verordnung über Beschlagnahme kommunis-             nahmt werden aufgrund der Verordnung über
            tischen Vermögens, die meines Wissens im März       die Beschlagnahme kommunistischen Ver-
            ‘33 ergangen war. Ich weiß nicht mehr genau,        mögens,   aber das im Grundbuch eingetra-
            ob es eine preußische Verordnung war, dann          gene Nutzungs-recht der Frau Specht müsse
            ist sie im Preußischen Gesetzblatt 1933 abge-       durch eine Rente  -  und die wurde damals,
            druckt, oder ob es eine Reichsverordnung war,       wenn ich mich recht erinnere, auf 200 Mark im
            dann ist sie im Reichgesetz zu finden.              Monat festgesetzt -  abgegolten werden. Der
                                                                Gauleiter nahm mit großem Missfallen diese
            In dieser Verordnung stand, dass kommunisti-        Entscheidung des Regierungspräsidenten auf,
            sches und ähnliches Vermögen - ich glaube, so       und die Herren von der Partei und von der SA
            hieß es - zugunsten des Staates beschlagnahmt       erhoben großen Protest. Er sagte: ,Wir haben
            werden könnte. Soweit aber für Beteiligte an        hier nach Recht und Gesetz zu entscheiden.’
            dem Vermögen grundbuchliche Rechte ein-             Die Damen und Herren von der Walkemühle
            getragen wären, müssten diese Rechte durch          waren nun erfreut, dass die Sache immerhin so
            eine Entschädigung abgelöst werden. Nun             ausging und dass dann in einer weiteren Be-
            hatte ich schon festgestellt, dass Frau Minna       sprechung die Bibliothek von Nelson gerettet
            Specht in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin   wurde.
            ein lebens-längliches Wohn-   und Nutzungs-
            recht in der Walkemühle besaß, da hatte ich         Damit war die Sache vorbei, und ich hörte
            also schon dem Regierungspräsidenten ge-            dann nichts mehr davon. Erst als ich bereits
            sagt: ,Wenn überhaupt die Beschlagnahme             kommissarischer Landrat in Wolfhagen war, da
            vorgenommen werden kann nach dieser Ver-            erschien eines Tages, vielleicht im Juli ‘33,
            ordnung, dann muss mindestens Minna Specht          Minna Specht bei mir und bat mich um eine
            eine Entschädigung bekommen,’ eine Rente            Unterredung unter vier Augen. Ich ging mit ihr
            hieß es in dieser Verordnung. Nun trugen zu-        in unseren landrätlichen Garten, und sie sagte
            nächst die Vertreter der Walkemühle ihre Be-        mir, die Rente, die sie anfangs bekommen
            schwerde vor, beklagten sich vor allem dar-         hätte, wäre ihr nun entzogen worden, und sie
            über, dass man die ganze Bibliothek heraus-         wolle nun in die Emigration gehen. Bevor sie
            gerissen und auf dem Marktplatz von Mel-            aber in die Emigration ginge, bäte sie mich um
            sungen öffentlich verbrannt hatte.(98)  Nur die     eine Bescheinigung, dass es sich bei der Phi-
            Bibliothek von Nelson befand sich noch in den       losophisch-Politischen  Akademie zu Göttingen
            Regalen; das haben wir bei dem Termin ge-           nicht um eine kommunistische Organisation
            sehen. Es gelang  dem Regierungspräsidenten         gehandelt hätte, sondern um eine parteilose,
            durch sein Eingreifen, diese Bibliothek zu retten,   in erster Linie philosophisch-pädagogisch ori-
            so dass sie nicht auch noch beschlagnahmt           entierte Einrichtung. Ich tat das dann auch, ich
            und verbrannt wurde.                                stellte ihr diese Bescheinigung aus, obwohl es
                                                                für mich damals ein gewisses Risiko war, in ‘33,
            Nachdem nun die Damen und Herren der                als staatlicher Landrat.
            Walkemühle ihren Standpunkt vorgetragen
            hatten, kam nun die Gegenseite, die Partei, zu      Mir persönlich hat die Partei damals mein Auf-
            Wort, wo hauptsächlich der Kreisleiter Rein-        treten in der Walkemühle ungeheuer übelge-
            hardt das Wort ergriff und die Walkemühle als       nommen. Als später die Walkemühle Schu-
            eine Brutstätte des Kommunismus schilderte.         lungsstätte war, wurde immer von den Par-

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