Page 99 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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Antwort: Der Antragsteller solle sich doch bitte
Entsprechend seiner Antwort existierten dann an die zuständige Stelle wenden; das sei die
plötzlich eine Reihe von Bänden überhaupt Stelle, die damals die erste Umbettung ver-
nicht mehr. Diese gutsituierten Bürger der anlasst hätte. Im Klartext hieß diese Antwort:
Kleinstadt Melsungen - Chef und Prokurist des Da müssen Sie sich schon an das Landratsamt
nicht ganz kleinen Heimatverlages - wollten Melsungen und an die NSDAP wenden !
offenbar nicht, dass noch einmal etwas Ähn-
liches aufgerührt werden könnte, wie es vor “So was konnte 1948 schon wieder gesagt
einigen Jahren durch Veröffentlichungen einer werden, da waren die schon wieder oben-
Melsunger Jugendgruppe geschehen war. drauf, die Brüder.” (Willi Schaper) Und ein
Melsunger Bürger, dessen Verwandter bei der
Sie machten dagegen mir den Vorschlag, Umbettung beteiligt gewesen war, bedrängte
doch mal mein Material vorbeizubringen, man den Helfer, seinen Antrag zurückzuziehen, sein
könne ja vielleicht ein kleines Heft daraus Verwandter würde sich sonst aufhängen. Sie
machen. Ich ärgerte mich über so jemanden in hätten nämlich wahrscheinlich alles zusam-
gesicherter Position, der womöglich als mengeschlagen und es sei nicht sicher, ob auf
HJ-Führer dann, wenn er für Schulungen in der dem Judenfriedhof überhaupt etwas liege.
Walkemühle einen Einberufungsbefehl bekam, (nach Willi Schaper)
seine Verbindungen benutzte und sich für die
gleiche Zeit einen Einberufungsbefehl von einer Diese Beschreibung veranlasste den Herrn
Fliegerschule besorgte; er flog einfach viel Prokuristen zu keiner anderen Reaktion, als zu
lieber, als dass er Schulungen mitmachte - so dem Vorschlag, mir nur ja den besten Anwalt
teilte er es mir mit. Wer könnte das nicht ver- zu nehmen und mir all das, was ich “gehört”
stehen! Ich ärgerte mich und konfrontierte ihn habe, vor diesem Anwalt noch einmal wie-
in seiner problemlosen Geschichtsauffassung derholen zu lassen - usw. usw.
(“für alle keine gute Zeit”) mit einer Geschichte,
der Verlegung der drei Toten vom Friedhof der Aber auch ein angesehener Bürger Melsungens
Walkemühle, die ich von Willi Schaper erfah- von der anderen Seite, der Seite der Na-
ren hatte: zi-Verfolgten, wollte nichts mehr mit dieser Zeit
zu tun haben: “Wir wollen uns raushalten, wir
Den Nazis war es nach ‘33 unerträglich, dass so haben zu viel mitgemacht. Schreiben sie doch,
ganz nah bei nun ihrer Walkemühle sich immer dass die Walkemühle zur Inhaftierung von
noch zwei Juden befanden, wenn auch schon Bürgern aus Melsungen benutzt wurde, die dort
tot und begraben, sowie im dritten Grab “ein teilweise misshandelt wurden - man hörte
Kommunist”. Das ließ ihnen keine Ruhe. Sie deren Schreie - alles schuldlose Bürger, von
änderten diese Situation bald und sprachen denen sich keiner was hatte zuschulden-
dabei von “Umbettung”, aber dann nahmen kommen lassen, die nur politisch nicht mit Hit-
sie es doch nicht so genau. Die Urne und den ler übereinstimmten. Und der Sturmführer der
Grabstein von Erich Graupe, “dem Kommu- SA, der mich verhaftet hatte und mich in der
nisten”, fand Willi Schaper, ehemaliger Helfer Walkemühle hatte einsperren lassen, der war
der Walkemühle, dann “im Dreck des Schutt- als Schuljunge mit uns groß geworden. Und
haufens von Adelshausen.” auch alle anderen, die Gemeinheiten damals
gemacht haben, zum Beispiel die, die einer
Den Skeletten der beiden Nelsons, so gab es kranken jüdischen Familie des Nachts über
ein hartnäckiges Gerücht, brach ein Beteiligter zwanzig Backsteine durchs Fenster in die
bei der “Umbettung” die Goldzähne heraus, Wohnung geworfen haben, die sind heute
wofür er eine Kraft-durch-Freude-Reise bekam. wieder alle in hohen Stellungen, und man will
Wo die Skelette heute liegen, weiß niemand da jetzt nichts mehr aufrühren. Mich ließen sie
genau, offiziell kamen sie auf den Juden- dann nach ein paar Tagen wieder frei, denn
friedhof von Melsungen. Sicher ist nur, dass ich war sehr angesehen hier, ich war Vorsit-
man dorthin die Grabsteine von Leonard und zender des Sportvereins und Besitzer eines
Heinrich Nelson geschafft hatte. Fuhrunternehmens.” (Heerdt)
Als Willi Schaper dann den Antrag auf Um- So schrieb ich das Telefongespräch aus meiner
bettung der Toten zurück auf den Friedhof der Erinnerung auf. Er wollte zuerst nichts sagen,
Walkemühle, stellte, gab der Melsunger Bür- nicht mehr daran rühren, aber dann hatte er
germeister a.D. Dr. Schmidt die folgende doch angefangen, hatte wieder innegehalten,
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