Page 98 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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Eine    deutsche         Geschichte                 Dinge, so möchte ich sagen, an unseren Ohren
            nach      dem     Ende                              vorübergehen. Man hat das erduldet, und
                                                                unter uns alten Landräten, die wir noch aus der
                                                                alten  preußischen   Verwaltung   stammten,
            Der Landrat aus Wolfhagen berichtet weiter:         haben wir das dann heftig untereinander
                                                                ausgetauscht, kritisiert und darüber gelacht.
            “Ich selber war dann noch einmal während            Das war eigentlich gefährlich, das konnte man
            des Dritten Reichs in der Walkemühle und            nur machen, wenn absolut zuverlässige Leute
            nahm da an einem Lehrgang für Rechtswahrer,         zusammenwaren.”  (Dr. Fritz Elze)
            in meiner Eigenschaft als Jurist, für Mitglieder
            des NS-Rechtswahrerbundes teil. In dem Fall
            war ich nun Schüler derselben Schule, die ich       Erfahrungen bei der Erkundung der NS-Zeit
            vorher gegen die SA und die Partei hatte ver-
            teidigen müssen. Da sehen Sie, wie es mir er-       Nur sehr vereinzelt konnte ich Menschen finden,
            gangen ist, einem alten preußischen Verwal-         die überhaupt noch irgend etwas wussten:
            tungsbeamten, es war nicht so einfach im            Aber auch die wollten meist doch nichts mehr
            Dritten Reich, was die Partei wollte, einiger-      davon wissen. “Natürlich erinnert sich keiner
            maßen in Einklang zu bringen mit dem Recht,         gern an diese Zeit, denn es war im nachhinein
            das war immer schwierig.                            ja für niemand eine gute Zeit. Man hat mit
                                                                dieser Zeit abgeschlossen und sich eine neue
            Die Schulungslehrgänge in der Walkemühle            Existenz aufgebaut. Das müssen Sie verstehen.
            veranstaltete die Partei und zwar die Gaulei-       Die von meiner Generation als HJ-Führer dort
            tung in Kurhessen. Neben den Lehrgängen des         auf der Schule waren, das waren ja keine
            NS-Rechtswahrerbundes gab es z.B. Schu-             dummen Leute, sondern die waren hochintel-
            lungslehrgänge für Amtswalter der NSV, das ist      ligent. Nach dem Krieg haben die dann alle
            die Abkürzung für NS-Volkswohlfahrt, was            Abitur gemacht und studiert und befinden sich
            heute die Diakonie ist, von brauner Seite. Dann     heute in gesicherten Positionen.” (Otto Wie-
            gab es noch Lehrgänge vom NSKK, das war             gand)
            der Kraftfahrerkorps, und Schulungslehrgänge
            für Ortsgruppenleiter und andere Funktionäre        Das allermeiste schriftliche Material über die
            der Partei. Jedenfalls wurde vom Staat, zu          Walkemühle zur NS-Zeit war von den Nazis zu
            dessen   Gunsten   zunächst   beschlagnahmt         Kriegsende oder kurz nach dem Kriege ver-
            worden war, die Walkemühle dann dem Gau             nichtet worden. Die Akten bei der Regierung in
            Kurhessen der Partei zur Verfügung gestellt. Das    Kassel, wie das Material in der Walkemühle
            Stichwort hieß damals: ,Die Partei befiehlt dem     selbst, wurden von den Nazis dadurch besei-
            Staat’, aber es waren zwei getrennte Orga-          tigt, dass sie beide Gebäude ansteckten. Aus
            nisationen. In der Kreisebene gab es z.B. den       der Lokalzeitung wurden im Archiv des Mel-
            Landrat  als alten Verwaltungsbeamten und           sunger Tageblattes zur Zeit der Entnazifizie-
            daneben den Kreisleiter als Vertreter der Partei,   rungsprozesse viele der Artikel, die von den
            soweit die Landräte nicht selber alte Kämpfer       “Heldentaten” ehrenwerter Melsunger Bürger
            waren; das war dann etwas anderes. Unser-           berichteten,  herausgeschnitten;  auf   diese
            einer, der von Berufs wegen Verwaltungsbe-          Weise wurden sie ihre braune Weste los. Aus
            amter war, der hatte immer seine Schwierig-         genau dem Grund, weil das nun mal “passiert
            keiten mit dem Kreisleiter.                         ist”, wurde mir in diesem Jahr vom Verlag das
                                                                Archiv nicht zugänglich gemacht. Auf meinen
            Die Schulung in der Walkemühle nahm man als         Einwand hin, dass ich keine Schere mitnehmen
            alter Verwaltungsbeamter so hin. Ich kann           werde, wurde als nächster Grund aufgeführt,
            mich da gar nicht mehr an Einzelheiten erin-        dass sich dort keine Sitzgelegenheit befinde; als
            nern. Es war ja so: die ganze Verwaltung            ich daraufhin die Möglichkeit nannte, im Ar-
            wurde doch übernommen, und von den alten            chiv stehen zu bleiben, wollte man auch das
            preußischen Verwaltungsbeamten, die nun             nicht, weil man da prinzipiell niemanden mehr
            noch aus der Weimarer Zeit oder zum Teil noch       hineinließe, da es ja vorgekommen sei, dass
            aus dem Königreich Preußen stammten, waren          Artikel ausgeschnitten wurden, “Dinge, die
            ja die allerwenigsten  überzeugte Nationalso-       praktisch unersetzbar sind”. Ich durfte dann
            zialisten. Wir mussten wohl oder übel in die        schriftlich einige Daten nennen, unter denen
            Partei eintreten, das wurde von uns verlangt,       “der Chef persönlich” (Otto Wiegand)    im Ar-
            aber wir hielten uns sehr zurück. Wir ließen diese   chiv nachschauen wolle.

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