Page 103 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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Diese Propaganda war nicht wirkungslos. Ein         zusammentraf. Nur eins weiß ich noch: die SA
            Einwohner Adelshausens, der es aus eigener          auf der Walkemühle nahm uns im Siedlungs-
            Anschauung besser wusste, erinnerte sich:           verein mal ein Stück Land weg. Da protestierte
                                                                unser Vereinsvorsitzender: ,Wenn auch heute
            “Von der Walkemühle wurden ja während des           Diktatur ist, den kleinen Leuten kann man das
            Dritten Reiches  die unheimlichsten Dinge er-       Futter für ihre Kuh nicht wegnehmen.’ Die SA,
            zählt. Ich machte neben meiner Arbeit noch          die aus unserem Land einen Sportplatz ge-
            ein bisschen Musik, Klarinette, und als ich dann    macht hatte, musste uns dann vom Staatsgut
            drüben einmal in Kirchhof bei der Kirmes war,       ein  neues Stück Land als Ersatz geben.” (Jo-
            in Quartier, war da so ein alter Bauer, ja, wir     hann Eckhardt)
            kamen ins Gespräch: ,Oh, se sind von Odels-
            hüsen,’ spricht er. ,Jo das kann wohl sinn.’  ,Da   Über die Gauamtswalterschule etwas von
            kennen se ja die Walkemühle öih, wo se de           Leuten, die selbst auf der Schule waren, he-
            Menschen geschlachtet hahm.’                        rauszubekommen, war schwierig, denn sie
                                                                waren kaum aufzufinden, weil sie sich auch
            Man war zu der Zeit ja sehr vorsichtig, das war     untereinander nicht mehr kannten. “Das ist
            zu gefährlich. Die glaubten das alles, was man      auch schon zu lange her, man hat nachher nie
            ihnen vorsagte.                                     mehr mit jemandem Kontakt gehabt, man hat
                                                                doch vieles wieder vergessen.” (Jakob Wie-
            Die Sache war die, man hatte in der Walke-          gand)
            mühle Menschenschädel gefunden. Für ihren
            Unterricht hatten sie ja welche aus jedem Alter,
            vom dreijährigen Kind, vom zehnjährigen Kind        Zwei Geschichten zur Walkemühle nach ‘33
            und von Erwachsenen, die hatten wir ja auch         konnte ich jedoch auftreiben:
            alle gesehen. Die SA fand das da, und dann
            ging natürlich  das Gerücht um, dass sie da
            Menschen geschlachtet hätten.                       Erste Geschichte

            Keine Fliege machten sie tot, die aßen doch         Eine Frau erzählt von ihrem Mann:
            kein Fleisch, das waren doch alles Vegetarier.
            Die hatten wohl eine Ziege da unten, aber sie       “Mein Mann war Vorsitzender des republika-
            schlachteten noch nicht einmal das Ziegen-          nischen Studentenbundes in Marburg und
            lämmchen. Sonst hatten die nur noch ein paar        gehörte dann, als er nach Berlin ging, dort
            Katzen für die Mäuse, weil die selbst ja auch       derselben Bewegung an. 1931 wurde bei ihm
            keine Maus fingen.” (Johann Eckhardt)               schon die erste Haussuchung gemacht. Wes-
                                                                halb, ist nie herausgekommen. Vielleicht hat
                                                                mein Mann auch, um mich zu schonen, nicht
            Über die Gauamtswalterschule etwas heraus-          immer alles erzählt, denn ich erwartete zu der
            zubekommen, war schwierig. Leute, die nicht         Zeit mein erstes Kind. Mein Mann war Student in
            direkt dabei waren, mieden die Nazis auf der        Berlin, und das war wohl die erste Studente-
            Walkemühle. “Die haben wir nicht geachtet,          nehe in ganz Deutschland, es war also ganz
            denen sind wir aus dem Weg gegangen.”               unmöglich. Mein Mann machte in Berlin sein
            (Alfred Stöckl)  Oder: “Nach ‘33 ist dann das       Examen bei einem jüdischen Professor und
            Thema heikel geworden, man hat nicht mehr           bekam daraufhin hier in Kassel keine Refe-
            darüber   gesprochen.”   (Waltari  Bergmann)        rendarstelle. Ich ließ dann alle Puppen tanzen.
            Oder: “Kurz nach dem Krieg hat niemand              Ich war hier in Kassel angesehene Sängerin und
            davon sprechen mögen, weil alles zu nah war,        unterrichtete viele Schüler von Prominenten in
            und es sollte auch kein Zweiter verdächtigt         Musik. So gab man meinem Mann dann doch
            werden.” (Franz Baier)  Oder: ein Bürger aus        eine Referendarstelle, aber ohne Bezahlung
            dem Dorf Adelshausen: “‘33, von da an weiß          und ohne Seminar. Ich musste also in der Zeit
            ich nichts mehr, ich war dann nicht mehr da         für ihn mitverdienen, und er musste sich alles
            unten an der Walkemühle, ich ging denen aus         selbst erarbeiten. Er hatte einen Tutor, bei dem
            dem Weg. Wenn die manchmal ins Dorf ka-             machten wir Besuch  -  damals musste    man
            men, um in die Gaststätte zu gehen, und ich         noch Besuch machen - und der erwiderte den
            die sah, bog ich gleich in die nächste Quer-        Besuch nicht. Er wurde dann nach seiner Re-
            straße ein, damit ich bloß nicht mit denen          ferendarzeit  auch   zum   Assessorenexamen
                                                                zugelassen, doch dann war es aus, dann
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