Page 20 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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Nachdem die Genehmigung erteilt war, kam            Das Schreiben des Landrats von Melsungen an
            es zum Streit zwischen Wunder und Nelson.           die Regierung in Kassel baute dann allein auf
            Wunder verließ daraufhin die Walkemühle am          Gerüchten auf. Es wurden die schon lange
            27. November 1924.                                  gehegten Bedenken wegen Wunders Persön-
                                                                lichkeit geäußert. Zu neuen Bedenken gaben
            Ein Dorfbewohner erinnert sich: “Ich war in der     auch die nachgereisten Frauen Anlass, politisch
            Eingangshalle des alten Fachwerkgebäudes.           wurde er jedoch als “gemäßigt und ideal-
            Da hat der Ludwig Wunder den Ofen so an-            denkend” angesehen. Angefügt wurden noch
            geheizt,  dass  der rotglühend war. Ich habe        Befürchtungen um die zukünftige Entwicklung
            gesagt: ,Ludwig, du steckst ja die ganze Mühle      der Walkemühle:
            an!’ da hatte der schon Streit mit Specht und
            Nelson und sagt: ,Reg du dich nicht auf!’ Ich       “Mit dem Fortgehen von Wunder wird, wie ich
            dachte mir, da stimmt doch was nicht, der will      stark befürchte, die Anstalt in ein bedeutend
            die alte Mühle noch anstecken.  Und dann war        radikaleres Fahrwasser gelangen. Der Prof.
            er plötzlich weg.” (Johann Eckhardt )               Nelson ist, wie ich bereits in meinen früheren
                                                                Berichten mir auszuführen erlaubt habe, poli-
            Der Landrat von Melsungen meldete die Ge-           tisch stark verdächtig gewesen. Ich darf
            rüchte um den Weggang Wunders nach Kassel,          nochmals meine Bitte vom 12. August 24
            nachdem er den Ländjäger (Polizisten auf dem        wiederholen um Feststellung der politischen
            Lande, wegen ihrer Uniform “die Grünen”             Tätigkeit und Einstellung von Prof. Nelson. Ich
            genannt) beauftragt hatte, “Feststellungen zu       werde weiter die Angelegenheit im Auge
            treffen”. Der meldete,  dass   Wunder nach          behalten,  muss  aber betonen,  dass  jede ir-
            Aussage von Fräulein Specht, die jetzt Leiterin     gendwie einwandfreie Feststellung unter den
            der Anstalt Walkemühle wurde , nicht wieder         heutigen     Verhältnissen    außerordentlich
            zurückkommt. Wunder reiste zuerst zu seiner         schwierig ist.” (25)
            Schwester nach Nürnberg, später gründete er
            noch einmal ein Landerziehungsheim in Herr-         Ein ehemaliges IJB-Mitglied meint heute rück-
            lingen bei Ulm. Gleichzeitig mit Wunder ver-        blickend dazu: “Es ging um die Leitung der
            ließen auch seine beiden Adoptivkinder sowie        Schule, und da beide sehr starke Persönlich-
            zwei Frauen, eine Lehrerin und ihre Mutter, die     keiten waren, Nelson wie Wunder, hat sich
            Walkemühle. (23)                                    keiner dem anderen unterordnen können. So
                                                                ist einer gegangen:  Wunder.” (Erna Blencke)
            Im Bericht des Landjägers heißt es: “Der zu-
            ständige Bürgermeister sagt aus,  dass  ein Ge-
            rücht in Umlauf gewesen sei, Wunder habe sich
            mit  Nelson überworfen. Nelson sei Wunder in
            politischen sowie in kirchlichen Beziehung zu
            radikal, er, Wunder, könne dies nicht mit sei-
            nem Gewissen verantworten. Dies sei auch der
            Grund für die plötzliche Abreise, etwa am 5.
            Dezember, gewesen.
            Inwieweit dies Gerücht auf Wahrheit beruht,
            muss festgestellt werden.

            gez. Fack
            Oberlandjäger.”  (24)


            Wunder hatte also sehr plötzlich die Schule
            verlassen und hatte sich auch nicht in Adels-
            hausen abgemeldet, obwohl er dort sogar als
            Gemeindeverordneter gewählt worden war.
            Niemand außerhalb der Schule wusste etwas
            Genaueres, und die, die es genau wussten, die
            in der Schule waren, waren äußerst zurück-
            haltend und schwiegen.


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