Page 22 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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Mayr-Eichenberg) zusammengefasst wurde. Sie         Im  Freidenkerverband    für  Feuerbestattung
            sollten nicht zum Werkzeug menschlicher Lust        führten sie den kulturpolitischen Kampf gegen
            gemacht werden.                                     den Einfluss der Kirche auf das Erziehungswesen,
                                                                gegen das Konkordat mit dem Vatikan, gegen
            Zur Kirche schreibt Nelson in seinen Ausfüh-        die “geistige Verknechtung der kommenden
            rungen zur Ethik: “Wie der Kapitalismus auf         Generation”. (31)
            einer Form der Erpressung beruht, so beruht
            auch der Klerikalismus auf einer Form der Er-       Auch innerhalb der SPD propagierten sie ent-
            pressung, indem hier die geistige Not der einen     schlossen  Massenaustritte  aus  der   Kirche,
            von den anderen ausgebeutet wird, um sich           Forderungen, denen die Parteibürokratie mit
            der Herrschaft über ihre Gewissen zu versi-         Misstrauen gegenüberstand.
            chern.” (30)
                                                                Weite Teile der SAJ und der Jungsozialisten
            Weiter bestanden im IJB noch die Forderungen,       waren noch ganz jugendbewegt-apolitisch
            keinen Alkohol zu trinken und nicht zu rauchen.     eingestellt oder knüpften bewusst  nationalis-
            Es galt einfach gesund zu  bleiben, wie dies in     tisch an die Zeit von 1914 wieder an, wie zum
            der Jugendbewegung damals allgemein an-             Beispiel  zur  Zeit  der  Ruhrbesetzung.  Die
            gestrebt war.  Wurden alle Forderungen erfüllt,     IJB-Mitglieder in diesen Organisationen waren
            entschied nun noch der Gruppenleiter am Ort         dagegen für internationale Solidarität der Ar-
            über die Aufnahme.                                  beiterklasse und stellten den Klassenkampf
                                                                über die Idee des Nationalstaats.
            Jedes Voll-Mitglied nahm regelmäßig an den
            Veranstaltungen der Ortsgruppe teil (§ 12 der       Mit der SPD-Führung kam es dann zu Ausei-
            Satzung). Diese Veranstaltungen hatten zwei         nandersetzungen. 1925 zog die SPD bei der
            Schwerpunkte: Man beschäftigte sich einmal          Wahl zum Reichspräsidenten ihren Kandidaten,
            mit philosophischen Schulungen und erarbei-         den Gewerkschaftler Otto Braun, vor dem
            tete mit Nelsons sokratischer Lehrmethode           zweiten Wahlgang verzagt zurück, obwohl er
            “wissenschaftlich gesicherte Grundsätze für         im ersten Wahlgang die weitaus meisten
            eine rechtliche Politik auf allen Gebieten des      Stimmen erhalten hatte, um dem “kleineren
            gesellschaftlichen Lebens.”(§14 der Satzung).       Übel”, dem rechten Zentrumsmann Dr. Wilhelm
            Dazu kam die praktisch-politische Ausbildung        Marx die Stimmen zufließen zu lassen, wodurch
            an  Problemen der Tagespolitik: Durch das Ü-        das größere Übel, der Sieg eines Nationalen,
            bernehmen “planmäßig verteilter, den indi-          verhindert werden sollte. Das war zum einen
            viduellen Fähigkeiten  angepasster  Aufgaben        erfolglos, da der von den Deutschnationalen
            und Ämter” sollten Charakterbildung und Fer-        aufgestellte Hindenburg gewann, und hätte
            tigkeiten im Organisieren erworben werden.          zum anderen nach Meinung des IJB auch nie
                                                                gelingen können, da Wilhelm Marx nicht das
            Denjenigen Mitgliedern, die sich in der tägli-      “kleinere Übel”, sondern ebenfalls ein uner-
            chen Arbeit in den Ortsgruppen als fähigste         träglicher Reaktionär war. Dieses unwahrhaf-
            erwiesen und sich “tätig bewährten”, wurde          tige Taktieren habe dagegen dem Selbstbe-
            vorgeschlagen, eine längere Schulung in der         wusstsein  der Arbeiterschaft geschadet, die
            Walkemühle mitzumachen.                             nun, wenn sie nicht kommunistisch wählen
                                                                wollte, keinen eigenen Kandidaten mehr be-
            Die Mitglieder des IJB waren in verschiedenen       saß. Und Kommunisten wurden vom IJB nicht
            linken Organisationen aktiv: Bei den Jungsozi-      unterstützt, denn der IJB schätzte die KPD unter
            alisten, in der sozialistischen Arbeiterjugend      anderem so ein, dass   sie, die Hände in den
            (SAJ), im Freidenkerverband für Feuerbestat-        Schoß   gelegt,   auf  den   naturnotwendig
            tung, im Arbeiter-Abstinenten-Bund sowie in         kommenden    Sozialismus wartete, anstatt ihn
            der SPD. Besonders in einigen Ortsgruppen und       überall aktiv selbst zu erkämpfen.
            Bezirken des Freidenkerverbandes, der SAJ und
            bei    den    Jungsozialisten   (Anteil   der       All diese Aktivitäten des IJB und sein größer
            IJB-Mitglieder an der Gesamtmitgliederschaft        werdender  Einfluss  -  innerhalb der Jungsozia-
            zeitweilig mehr als fünf Prozent) konnten sie       listen waren sie die treibenden Kräfte bei der
            durch ihre intensive Arbeit einen Einfluss  ge-     Bildung einer linken Untergruppe gewesen  -
            winnen, der weit über ihre zahlenmäßige             wurden  der Parteileitung der SPD suspekt. Sie
            Stärke hinausging.                                  suchte nun Gründe, den IJB kaltzustellen, und
                                                                fand sie in der alten undemokratischen Sat-

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