Page 27 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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Ich habe mal in einem Aufsatz über Minna
            Specht    als  Leiterin  folgendes   geschrie-      Eine Schülerin:
            ben: ,Wenn Konflikte zwischen Minna Specht
            und ihren Mitarbeitern auftraten, so ent-           “Als ich das erste Mal auf die  Walkemühle
            sprangen sie vielfach dem Umstand,  dass            gehen wollte, sagte mir ein Genosse aus dem
            Minna Specht in der Schau des Ziels und des         ISK, der es immer verstanden hatte, nicht
            Weges ihren Mitarbeitern in der Regel voraus        dorthin zu kommen, da er die Versagungen,
            war. Welche Geduld musste    sie bei ihrer Hin-     die Strenge nicht auf sich nehmen wollte: ,Was,
            gabe an die uns verbindende Aufgabe auf-            da willst du hin!?  Dann kannst du ja gleich ins
            bringen, wenn in solchen Konflikten die ge-         Kloster gehen!’  Das  war natürlich etwas ü-
            waltfreie Lösung erreicht werden sollte! Das        bertrieben. (Emmi Gleinig )
            gelang nicht immer. Dann konnte Minna
            Specht durch ungeduldige Eingriffe einem
            Mitarbeiter die Möglichkeit, an seinem Teil
            selbsttätig in der Bewältigung der Aufgaben         Vierte Geschichte
            vorwärts zu schreiten, stören. Wenn aber je-        (Wie man nicht auf die Walkemühle kam)
            mand sie angriff, wegen der Gewalt, die sie
            ausübte, dann konnte es zwar geschehen,
            dass  sie sich zunächst  abschloss. Bald aber       Eine  Schülerin:
            sprach sie den, der sie angegriffen hatte, an,
            nahm seine Kritik ernst und änderte ihr Ver-        “Ich  weiß,  dass  Nelson einmal eine seiner
            halten.(...)                                        Schülerinnen an der Universität zu Artur Kron-
                                                                feld, einem Psychiater geschickt hat und den
            Die Aufgabe, die Nelson ihr hinterlassen hatte,     gefragt hat, ob er glaubt,  dass dieser Mensch
            als er 1927 starb, stand immerfort gewaltig vor     in einer solchen Organisation wie dem ISK
            ihr, und ihre gelegentliche Ungeduld mit den        mitarbeiten könnte. Er hat sich ja überlegt,
            Mitarbeitern war mit dem Gefühl der eigenen         dass  er in den ISK und in die Walkemühle
            Unzulänglichkeit  gegenüber    der   Aufgabe        Menschen hineinbekam, die das bewältigten.
            verbunden.’ (34)
                                                                Da hatte er bei dieser jungen Frau Zweifel und
            Es war eine Lebens-  und Kampfgemeinschaft          bat sie, zu einem Psychiater zu gehen. Sie ist
            von großer Strenge, spartanischer Einfachheit       hingegangen, und nach dem Rat von Kronfeld
            und sehr konzentrierter ernster Arbeit. So etwas    hat er sich dann verhalten, sie ist keine Schüle-
            wie Muße kannten wir da nicht. Im Tagesablauf       rin  in  der  Walkemühle    und   auch   kein
            gab es wohl eine etwas längere Mittagspause,        ISK-Mitglied geworden.   Das waren die An-
            da bin ich z. B. viel im Garten gewesen beim        fänge, wo Nelson wirklich  manchmal dach-
            alten Gärtner Schwer; und dann konnte man           te: ,Das ist zuviel zugemutet, die schaffen das
            auch schon mal für ein paar Tage weg, - rich-       nicht.’ ”  (Emmi Gleinig)
            tige festgesetzte Ferien wie auf der Schule gab
            es ja auf der Walkemühle nicht  - ; doch auch       Nur die fähigsten, geistig und körperlich ge-
            an diesen wenigen Tagen nahm man sich               sunden Menschen wurden Schüler auf der
            noch was vor. Z.B. bin ich einmal über Ostern       Walkemühle. Dieselbe Schülerin der Erwach-
            nach Berlin in den Ortsverein des ISK gefahren,     senenabteilung berichtet:
            um den kennen zu lernen, und dann habe ich
            auch noch einmal ein Gastspiel über die von         “Als Schüler der Walkemühle konnte man sich
            uns praktizierte sokratische Lehrmethode 1930       nicht aufs hohe Ross setzen, die Anforderungen
            an der pädagogischen Akademie in Frankfurt          der Schule waren einfach zu hoch, da wurde
            an der Oder gegeben.                                man schon kleinmütig.” Und angesprochen
                                                                darauf,  dass  bei Nelson die psychologische
            Und diese mich faszinierende Aufgabe, sokra-        Sicht sehr eingeschränkt war, meinte sie: “Die
            tisch philosophisch und mathematisch unter-         Seite ist bestimmt bei ihm zu kurz gekommen,
            richten zu können, überdeckte bei mir die           weil er eben alles mit der Ratio machte. Wenn
            Härte der Bedingungen auf der Walkemühle.”          das Experiment in der Walkemühle länger
            (Gustav Heckmann )                                  gedauert hätte, wäre das auch noch ge-
                                                                kommen, denn Minna hatte das.
                                                                Nach Nelsons Tod hat man auch revidiert.  Bei
                                                                mir war das ja noch sehr streng, das war bis

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