Page 42 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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geschworen: ,,Ich werde nie wieder was sagen, “Der Tono, zehn Jahre alt, war dickköpfig und
nie wieder, und wenn mich Minna Specht schwer einzugliedern. Julie, die Lehrerin der
hundert Mal rausschmeißt!’ Kinder, hatte ihre Last damit. Aber das ging
antiautoritär. Ich habe dagegen verstoßen
Lisbeth Katholi und ich gingen in unsere Zimmer und will das nun erzählen: Im Sommer tafelten
zurück. Jeder begibt sich in sein Bett, und wir wir also unter zwei riesengroßen Kastanien-
lassen die Tür offen, um uns zu unterhal- bäumen, draußen im Freien. Es war die Zeit, wo
ten: ,Was meinst du Lisbeth? Ich habe das die Kastanienbäume eben ihre Kastanien he-
Gefühl, ich habe den größten Blödsinn von der runterfallen lassen. Tono sammelte diese fleißig
Welt geredet.’ Und dann sagte Lisbeth: ,Ja, in seiner kleinen Schürze.
das Gefühl hatte ich auch.’ Na, da war ich
natürlich am Boden zerstört, da hatte ich Tono wollte jetzt nicht zum Essen kommen.
meine Bestätigung. Tono war durch Julie nicht zu bewegen, zum
Essen zu kommen. Sie hat ihn flehentlich ge-
Am nächsten Morgen gehe ich über den Hof. beten, es war nichts zu machen. Tono wurde
Minna kommt aus dem Lehrgebäude und böse, trampelte mit den Füßen auf und be-
sagt: ,Großartig gemacht, großartig dein Dis- gann damit, die Fensterscheiben unseres
kussionsbeitrag.’ Ich war wütend und sa- Speiseraumes einzuschmeißen, woraufhin ich
ge: ,Das sage ich dir, das war das erste und das eingeschritten bin. Ich habe ihm erstens die
letzte Mal, dass ich was gesagt habe, denn ich Kastanien weggenommen, ihn außerdem ü-
habe das Gefühl, du willst mir jetzt nur ein bers Knie gelegt und ihm drei Kräftige mit der
Kompliment machen, damit ich beim nächs- flachen Hand auf den Hintern gehauen
ten Mal wieder was sage. Du willst mich nur und : ,Nu ab!’
ermutigen. Nichts werde ich mehr sagen!’ Ich
hatte ja das Gefühl, ich hatte den größten Oh, es gab lange Sitzungen darüber. Ich habe
Blödsinn geredet. Und da wurde Minna ganz gesagt: ,Ich verstehe nichts von Pädagogik,
ernst, ganz ernst, und sagte: ,Jetzt will ich dir ich bin kein Pädagoge, das was ich gemacht
mal was sagen ...’ habe, wollt ihr das bitte zur Kenntnis nehmen,
das war Politik. Ich habe unsere Walkemühle
Und da hat sie mir auseinandergesetzt, wie vor materiellem Schaden bewahrt, und dazu
wichtig das ist, dass in einer Schule, in der er- musste ich mit Gewalt eingreifen.’ Das hätte
zogen wird, man nicht immer Korsetts finden ich auch anders machen können. Ich sa-
darf, also politische Stützen, anstelle der freien ge: ,Ich halte diese Art des politischen Eingriffs
Entscheidung, etwas zu tun, auch wenn es für wirkungsvoller. Wenn ich ihn nur weg-
einem nicht gefällt. gehalten hätte, wäre er ja sofort zurückgekehrt
und hätte sein Spielchen weitergetrieben. Ich
Und nachher habe ich darüber nachgedacht, musste ihn abschrecken, das konnte ich nur mit
und ich vertrete heute noch den gleichen Gewalt. Das war Politik, das war keine Erzie-
Standpunkt. Und so wurde man dort gebildet: hung. Ich will euch in eure Erziehung gar nicht
Zuerst einmal Minderwertigkeitskomplex, man reinreden. Nehmt das zur Kenntnis und macht
traut sich nichts zu, dann wird das bestätigt das auch aktenkundig, dass man in gewissen
von einem anderen, und dann wird man so Fällen als Pädagoge auch politische Maß-
allmählich aufgerichtet, und das Vertrauen nahmen vornehmen muss, nämlich dann,
bildet sich aus. Das waren schon harte Sachen, wenn derjenige beginnt, Eigentum zu zerstö-
das waren schon sehr entscheidende Sachen. ren.’
Die Minna war da immer großartig. Wenn man
wusste, das geht hier um dein Fundament, Die Erzieher waren tieftraurig. Ich hätte also
dann konnte man immer damit rechnen, dass das Werk von vielen Monaten zerstört, weil ich
sie das Richtige tat.” (Emmi Gleinig) so autoritär gehandelt hätte.” (Helmut
Schmalz)
Eine Auseinandersetzung über pädagogische Eine Schülerin berichtet:
und politische Mittel in der Erziehung der Kin-
der. “Im philosophischen Unterricht “ging es um die
Freiheit des menschlichen Willens. Wie haben
Ein erwachsener Schüler erzählt: wir uns in die Fragen hineingestürzt mit Bei-
spielen für und gegen! Am Ende des Vormittags
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