Page 48 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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            Politische        Aktivitäten n                     gebürtiger Witzenhäuser und konnte mich
            der    Umgebung                                     schnell an das Platt der Leute gewöhnen.

                                                                Wenn wir uns dann abends trafen: ,Wie viel
            Was sich in diesem Plan unter "Außenarbeit in       hast du denn zusammengekriegt?’ ,Zwölf, und
            Jugendgruppen der umliegenden Ortschaften"          du?’ ,24!’,  Mensch, wie machst du das denn
            verbarg, kann als Unterricht der erwachsenen        bloß?’ Ich sage: ,Ihr  müsst  die Leute richtig
            Schüler angesehen werden,   Unterricht  in          anreden, mit eurem Hochdeutsch da ist doch
            praktisch - politischer Arbeit.                     nichts zu machen.’

            “Als Schüler der Walkemühle und ISK-Mitglied        Da kamen nämlich welche aus Hannover, die
            hatten wir die Verpflichtung auf uns genom-         sprachen so ein besonders spitzes Hochdeutsch.
            men, an zwei Wochenenden im Monat drau-             Die gleichen Schwierigkeiten hatten natürlich
            ßen im Lande Agitation für den ISK zu betreiben.    auch die Ausländer, wenn sie loszogen.” (Willi
            Manche haben darüber hinaus auch noch               Warnke)
            zeitweise in Ortsgruppen des,  Freidenkerver-
            bandes für Feuerbestattung’ mitgearbeitet.          Wie locker die Stimmung bei diesen politischen
            Das durfte natürlich auf gar keinen Fall der        Ausflügen manchmal war, und wie viel     Zeit
            Schulrat erfahren, da hätten wir Schwierigkei-      man sich dabei ließ, zeigen die folgenden Be-
            ten gekriegt. Trotzdem gehörte also zweimal         richte.
            im Monat der Sonnabendnachmittag bis  um
            vier in die Nacht hinein unserer politischen Tä-
            tigkeit.                                            Eine Schülerin:

            Der ISK brachte monatlich eine Zeitschrift          “Einmal war ich mit einer Schweizerin zu-
            heraus, die ISK-Hefte, und alle Mitglieder hatten   sammen zu Fuß unterwegs. Wir wollten in den
            sich verpflichtet, davon so und so viele an den     Dörfern ISK-Hefte verkaufen und hatten noch
            Mann zu bringen und mit den Lesern soge-            etwas Zeit, da setzten wir uns in den Straßen-
            nannte ISK-Leserabende zu machen, das wa-           graben. Nun lagen da unter einem Apfelbaum
            ren reguläre öffentliche politische Versamm-        sehr viele schöne Äpfel.  Wir hatten selbst auch
            lungen.                                             welche mit, doch waren unsere nicht so schön.
                                                                Einfach wegnehmen wollten wir die Äpfel, die
            Wir sind dann also mit unseren Heften raus auf      uns ja nicht gehörten, aber nicht, so legten wir
            die Dörfer. Mit einer Genossin zusammen hatte       schließlich für jeden genommenen Apfel einen
            ich Altmorschen und Neumorschen. In Alt-            von unseren dafür wieder ins Gras.
            morschen war die alte Mutter Laux, da haben
            wir dann unsere Räder untergestellt. Die Mutter     Dann sind wir weitergegangen und kamen an
            Laux hatte uns so lieb gewonnen, ich hatte          eine Kirche. Die Tür zum Turm stand offen, wir
            gerade zu meiner Berta gesagt: ,Du machst           fanden aber niemanden, den wir hätten fra-
            Altmorschen, und ich gehe rüber und mache           gen können, ob wir da rauf durften. So gingen
            Neumorschen,’ da stand sie dann schon               wir dann einfach so hinauf. Das war imposant,
            da: ,Aber um so und so viel Uhr seid ihr wieder     das Uhrwerk und die Glocken da zu sehen.
            hier, dann ist der Kuchen fertig!’                  Nachdem wir so eine Zeit da herumgeklettert
                                                                waren, gingen wir wieder nach unten. Die Tür
            Dann sind wir von Haus zu Haus gegangen,            stand glücklicherweise noch offen, da stand
            haben angeklopft und haben mit den Leuten           dann aber auch jemand, der uns fragte, w oher
            diskutiert, haben ihnen erklärt, was in den         wir denn die Erlaubnis hätten ...
            Heften stand. Die kosteten zwanzig Pfennig,
            das war viel Geld damals - es hat auch welche       Ein anderes Mal sind wir zu dritt mit Fahrrädern
            gegeben, die gaben uns auch mal etwas mehr,         gefahren. Ausgerechnet einem Mädchen, das
            da hatten wir Glück, da konnten wir einem           besonders tierlieb war, ist dann ein Gänserich
            anderen sagen: ,Du kannst es für einen Gro-         mit dem Hals in die Speichen gelaufen. Die hat
            schen kriegen.’ Wir waren bekannt als die von       dann sehr geweint, und es hat ihr noch wo-
            der Walkemühle und hatten auch in allen Or-         chenlang      leid    getan.”          (Grete
            ten unsere Vertrauensleute sitzen, die uns was      Mayr-Eichenberg )
            sagen konnten, z.B. wo es sich bestimmt nicht
            lohnte hinzugehen. Ich hatte Glück, ich bin

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