Page 51 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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Sachbericht über die Walkemühle (Adelshau-          Eine andersartige Methode ihrer politischen
            sen) aus meiner Kenntnis während meiner Tä-         Propaganda zeigte die Walkemühlgruppe bei
            tigkeit im Kreis Melsungen 1923 bis 1933.           folgender Gelegenheit: Februar 1932 fand im
                                                                Jugendheim Dagobertshausen eine Freizeit-
            Meine ersten Erkenntnisse über die Walkemühle       tagung für erwerbslose junge Männer statt,
            stammen vom Hörensagen und verschiedenen            von 40 bis 50 Jugendlichen besucht. Morgen-
            Gesprächen, die ich in meinem Jugenddienst          andacht, berufsschulähnliche Beschäftigung,
            gelegentlich mit Kirchenmitgliedern im   Kreis      Aussprachen über Lebensfragen, Wanderun-
            Melsungen geführt habe. Äußerungen und              gen, Vortragsabende waren das Programm
            Namen dieser Menschen kann ich nicht mehr           während der zwölftägigen Tagung. Gegen
            angeben, ihre Aussagen über die Walkemühle          Schluss  erklärte mir ein etwa 21jähriger mit
            interessierten mich auch dienstlich nicht.          Dank für die gute Verpflegung: “Wenn die
                                                                Tagung schließt, müssen Sie uns hinauswerfen”.
            Erst Ende der zwanziger Jahre wurde ich durch
            glaubwürdige    Gemeindemitglieder     darauf       Wenige Tage danach erschien in der Kasseler
            aufmerksam gemacht,  dass      in der Walke-        Kommunistischen Zeitung folgende Berichter-
            mühle eine Schulung internationaler Kommu-          stattung über die Erwerbslosenfreizeit: “Der
            nisten  betrieben werde, unter der Leitung eines    edle Seelenhirte von Dagobertshausen  -   ein
            Prof. Nelson aus Göttingen, hauptsächlich an        Steigbügelhalter der Regierung -  ihr Reichsprä-
            Studenten. Es wurde mir auch bekannt, dass          sident war m.E. der Sozialdemokrat Ebert -.
            diese Gruppe in den Nachbarorten von Mel-           Oder :”Das Beten hat länger gedauert als das
            sungen, wie auch in meinen Kirchspielge-            Essen.” Weitere Verunglimpfungen und Un-
            meinden, eine eifrige Propaganda durchführ-         wahrheiten kann ich wörtlich nicht mehr an-
            te.                                                 geben, weil die Zeitung beim Lesen in der
                                                                Gemeinde, die sich an der Verpflegung der
            Der Auswirkung dieser Propaganda bin ich von        Erwerbslosen vorbildlich beteiligt hatte, leider
            etwa 1929 ab bei meinen Kirchspiel begeg-           verschwunden war. Trotz der  berechtigten
            net. ... Dabei kam es z.T. auch zu einer Kon-       Empörung in der Gemeinde über den kir-
            frontation zwischen meiner Stellungnahme            chenfeindlichen und erlogenen Bericht, hielt
            aufgrund der biblischen Gebote und gesell-          ich eine Richtigstellung nicht seiner für wert. Er
            schaftspolitischen Bestrebungen.                    hatte ja auch das Gegenteil erreicht, denn es
                                                                ließen sich gegen alle kommunistische Beein-
            Hierbei wurde die Propaganda der Walke-             flussung Jugendliche  zu weiteren Freizeiten
            mühle deutlich. In den schon seit Jahren von        einladen und kamen.
            uns geleiteten Frauenhilfsabenden hat vor al-
            lem meine Frau mit den Mitgliedern auch über        Ein Beweis für die auch von der Walkemühle
            die ehelichen Nöte der Frauen Aussprache            betriebene persönliche Werbung lieferte das
            gehabt, während ich in meinen Jugend-               Ergebnis der Reichstagswahl im November
            abenden und Freizeiten über die Probleme und        1932. Von den etwa 170 Wahlberechtigten
            ihre Überwindung mit den jungen Menschen            hatten m.E. 44 die kommunistische Partei
            offen gesprochen habe.                              gewählt, während bei früheren Wahlen nur
                                                                ungefähr zehn Gemeindemitglieder dafür ge-
            In einigen Gemeinden führte ich Volksmissi-         stimmt hatten. Noch am Wahltag, einem
            onsvorträge mit entsprechenden Themen auch          Sonntag, wurden wie im Lauffeuer die kom-
            für Erwachsene durch. Bei einem solchen A-          munistischen Wählerstimmen bekannt und
            bend mit einem diesbezüglichen Referat eines        Anlass  zu großer Beunruhigung. Aus bäuerli-
            Diplom-Ingenieurs in einer von dem Einfluss der     chen Kreisen wurden   sogar bedrohliche Erwi-
            Walkemühle    besonders    beunruhigten   Ge-       derungen laut, den schon früher bekannten
            meinde trat am  Schluss  ein etwa dreißigjähri-     kommunistischen Wählern keine Milch mehr zu
            ger Ehemann mit einer Gruppe jüngerer Ehe-          liefern.
            frauen mit diffamierenden und höhnischen
            Bemerkungen und demonstrierender Haltung            Über die so offenkundige Spaltung der Ge-
            auf. Er hatte mit seiner in der Walkemühle          meinde, zweifellos auch eine Wirkung der
            geschulten Propaganda durch seine Famili-           Propaganda der Walkemühlgruppe, und über
            enbesuche kirchen-gegnerisch und kommu-             die feindselige Haltung von Gemeindemit-
            nistisch das Dorf in eine gefährliche Spaltung      gliedern gegenüber kommunistischen Wählern
            gebracht.                                           waren auch andere Gemeindemitglieder sehr

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