Page 76 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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mit solchen, für die man Verständnis bei den “Die fünf Schulpflichtigen sind unter zehn Jah-
Kindern schon fand oder im Laufe der Zeit ren alt, arbeiten also die Lehraufgaben der
leicht wecken konnte. Zum Teil gaben sich die Grundschule durch unter Leitung der Ober-
Kinder selber ihre ,Gesetze’, meistens auf Grund lehrerin Fräulein Pohlmann. Der Unterricht ist
irgendwelcher als störend empfundenen Gesamtunterricht. Das heimatliche Erleben,
Vorkommnisse oder Übergriffe.” (69) angeregt und vertieft durch den starken Zu-
sammenhang mit der Natur, durch fast tägli-
che Beobachtungs- und Erkundungsgänge,
“Manchmal spielten wir auf der Walkemühle durch ganzwöchige Wanderungen in die
Theater. Die Erwachsenen für die Kinder oder weitere Umgebung zum Vertrautwerden mit
die Kinder für die Erwachsenen - Kinder ver- dem Heimatkreis, seiner Natur und seinen
kleiden sich ja sehr gern - oder alle spielten Menschen und Verhältnissen, sichert starke,
zusammen. grundlegende heimatliche Vorstellungen.
Darüber werden freilich die durch die Richtli-
Ich weiß noch von einem Stück, da musste der nien geforderten Fertigkeiten, z.B. Lesen,
Peter Nemenyi (laut Willi Schaper der Halb- Schreiben, auch Rechnen, etwas stark zu-
bruder des Schachweltmeisters Bobby Fischer, rückgedrängt, so dass die besseren Land-
R.G.) ein Baby spielen und musste dazu in der schulen des Kreises trotzdem sie vielmehr
Wiege liegen, und der Junge war nicht aufzu- Schüler und diese oft in fünf Abteilungen un-
finden; irgendwo hatte er sich verkrochen, terrichten müssen, günstigere Ergebnisse auf-
nicht weil er Angst gehabt hätte, sondern aus zuweisen haben. Doch dafür ist der Blick dieser
Neugier war der irgendwo hin gelaufen; da Schüler mehr geöffnet und ihr Verständnis
riefen alle: ,Peter! Peter! Du musst doch...!’ - da größer für die Umweltverhältnisse.” (70)
kam er endlich in seinen kleinen Höschen und
wurde dann in die Wiege gelegt.
Der Regierungsdirektor aus Kassel
Die Kinder spielten sehr viel. Früher wurde ja “...bestätigt das Urteil des Schulrats über die
überhaupt viel mehr gespielt als heute, heute Fertigkeiten der grundschulpflichtigen Kinder.
ist ja das Fernsehen da. Puppen, Bälle, Bären - Im Rechnen war die Fertigkeit des 3. und 4.
das fing damals gerade an, dass man Bären Schuljahrs im Zahlenlesen recht gering; auch
hatte, Fahrräder, Bauklötze. Ich weiß noch wie einfache Aufgaben aus den vier Grundrech-
wir immer vor Weihnachten die vielen Bau- nungsarten wurden nur langsam und unsicher
klötze, die in der Tischlerei geschnitten worden gelöst. Besser waren die Leistungen im selb-
waren, zusammen anmalten - aber kein ständigen Aufschreiben. Dagegen schien die
Kriegsspielzeug.” (Hedwig Urbann) Sprechlust der Kinder wenig entwickelt.”
Wie man zum Beispiel als Kind auf die Wal-
kemühle kam
Schülerinnen und Schüler, die als Kinder auf der
Walkemühle zur Schule gegangen sind, schil-
dern diese Zeit übereinstimmend als unheimlich
glückliche Zeit, als die
schönsten Kindheitsjahre.
Dabei wird betont, dass ja
die strengen Forderungen
der Schule an die Er-
wachsenen bei den Kin-
dern noch nicht ange-
wandt wurden.
Die Mutter einer Schülerin berichtet:
In den Protokollen der Schulaufsichtsbehörden
des Jahres 1928 ist über den Unterricht der “Längst ehe unser Kind geboren war, hatten
Kinder folgendes nachzulesen: wir Eltern beschlossen, es in diese Schule zu
geben, über deren Geist und Erziehung wir
durch Minna Specht und Leonard Nelson ge-
Der Schulrat von Melsungen: hört hatten. Aber unsere Vorstellungen von
dem Ganzen waren doch recht unklar: Wir
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