Page 71 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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“Es gab nette Sachen, zum Beispiel gab es           Eine Helferin:
            sonntags prinzipiell etwas dem russischen Ge-
            richt  ,Piroggen’   Nach-gemachtes.    Heute        “Wir machten von Zeit zu Zeit im Haushalt
            würde man sagen :  ,Eine  Pizza  mit Pflaumen       Abrechnungen und schickten sie einem Pro-
            drauf   und   mit   Käse                            fessor Hinthede nach Dänemark. Der war Re-
                                                                former auf dem Gebiet der vegetarischen Er-
            überbacken’, es war schon nett. Satt wurden         nährung, und wir lebten eine Zeitlang nach
            wir,  nur kriegten wir alle dicke Bäuche. Die       ihm. Der kontrollierte anhand der Rechnungen,
            vegetarische Kost war ja auch nicht so, wie sie     ob wir zuviel oder zuwenig gegessen hatten,
            ein wohlhabender Mensch machen würde,               ob der richtige Anteil Fett dabei gewesen war
            zum Beispiel mit Paranüssen, Erdnüssen oder         usw.. Der Hinthede vertrat ja die Ansicht, dass
            Walnüssen, das gab es bei uns nicht, dafür          in Pflanzen all die Stoffe enthalten sind, die
            hatten wir kein Geld. Meist gab es Kartoffeln,      andere Menschen durch tierische Ernährung zu
            immer wenig Fett, selten Reis.”       (Helmut       sich nehmen; dazu hatte er eine bestimmte
            Schmalz)                                            Diät entwickelt. Wir probierten das eine Zeit-
                                                                lang aus, denn wir waren ja alle strenge Ve-
            Und mit leichtem Grauen erinnert er sich an die     getarier auf der Walkemühle.”     (Hedwig Ur-
            internationale Komponente beim Essen:               bann)

            “Von irgendwoher schickte uns jemand große
            Pakete mit einem ganz furchtbaren Käse. Der         Ein Helfer berichtet über den Vegetarismus im
            war knüppelhart. Einmal in der Woche gab es         ISK:
            also solchen Käse anstelle eines normalen
            Mittagessens. Das war schrecklich, aber es          “Wir hatten alle die Pflicht, Vegetarier zu sein.
            musste ja sehr gespart werden.” (Helmut             Derjenige, von dem man wusste, der wird jetzt
            Schmalz)                                            bald den Antrag stellen, um Mitglied im ISK zu
                                                                werden, der bekam vorher zur Auflage, vier
                                                                 Mal in den Schlachthof zu gehen und zuzu-
                                                                 sehen, wie das Vieh geschlachtet wurde. Da
                                                                 mussten dann noch zwei Mitglieder mitgehen
                                                                 und durften sich das dann auch noch mal
                                                                 wieder mit ansehen.

                                                                 Vegetarismus war damals etwas sehr von der
                                                                 Norm Abweichendes, und ein Freund hat das
                                                                 zu spüren bekommen: Er war Jahrgang ‘14,
                                                                 der erste aktive Jahrgang, den der Hitler da
                                                                 einzog. Mein Freund wurde in die Jägerka-
                                                                 serne  in  Kassel  eingezogen    und  sagte
                                                                 dort: ,Ich bin Vegetarier und  ich will hier als
                                                                 Vegetarier leben!’ Was machten sie mit dem ?
                                                                 Den steckten sie in die Zwangsjacke und füt-
                                                                 terten ihn mit Fleisch. Zuerst hatten sie noch
                                                                 versucht, auf ihn einzureden: ,Stellen sie sich
                                                                 mal vor; Kriegsfall !’
                                                                 Und der sagte dann: ,Kriegsfall  ! Wie können
                                                                 sie denn, wenn der Führer von Frieden redet,
                                                                 von Krieg reden?’ Solche Töne redeten wir
                                                                 nämlich da noch.”  (Willi Warnke)


                                                                 Der Nachmittag


                                                                 Eine Helferin:


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