Page 61 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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spricht, in der Tat eine schwere und äußerst “Als der Winter ‘25 auf ‘26 anfing streng zu
empfindliche Belastung. werden, mussten wir alle beim Heizen unserer
kleinen Kanonenöfchen auf unseren Zimmern
Nach dem oben Ausgeführten handelt es sich sparen und uns eine Wolldecke oder sonstwas
bei dem Erziehungsheim Walkemühle zwar um umhängen, denn wir standen vor der Frage,
einen Versuch, über dessen endgültige Erfolge das hatte Minna Specht uns erklärt: ,Entweder
sich ein abschließendes Urteil bis auf weiteres schränken wir uns alle mit der Heizung ein, oder
nicht absehen lässt, andererseits aber um ein zwei müssen nach Hause.’ Wir waren natürlich
sehr bemerkenswertes Unternehmen, das sofort solidarisch und sagten: ,Wir wollen lie-
wegen der idealen Bestrebungen, die es ver- ben frieren’.” (Helmut Schmalz)
folgt und auf Grund des gewonnenen Ein-
drucks verdient, nach Möglichkeit unterstützt
zu werden, und dessen gemeinnütziger Cha- Eine Helferin:
rakter in Anbetracht der Unentgeltlichkeit und
des Zwecks, dem es dienen soll, anzuerkennen “Wir besaßen alle in der Mühle nur noch die
ist. zum Leben nötigen Siebensachen. Es gab auch
kein Taschengeld; doch was man brauchte,
Auch wäre, wenn sich die Anstalt zur Deckung hat man gekriegt, z.B. das Fahrgeld, wenn
der verlangten Steuer in der Tat zur Entlassung !!! einer mal heim wollte, das war kein Problem.”
zwei der derzeitigen Schüler gezwungen sehe, (Hedwig Urbann)
dies im Interesse der hiervon Betroffenen sehr zu
bedauern. Dazu kommt, dass bei einer noch
geringeren Zahl von Schülern als der gegen- Ein Schüler hatte die Verantwortung für die
wärtigen, die Lebensfähigkeit der Anstalt in Kasse in der Walkemühle übernommen und
Frage gestellt erscheinen muss, weil eine so berichtet darüber:
beschränkte Schülerzahl den aufzuwendenden
Apparat nicht mehr rechtfertigen würde. “In den zwei Jahren, in denen ich die Kasse
führte (nach 1930), bewegte sich die Kassen-
Wir glauben, hiernach den Antrag befürworten führung jeden Monat um die 7000 Mark herum,
zu dürfen und möchten empfehlen, sich zu- mit allem drum und dran für achtzig Menschen
gunsten der Anstalt dafür verwenden zu wollen, auf der Walkemühle: Kleidung, die für alle in
dass ihr, wenn dies nur irgend angängig ist, unserer Schneiderei selber instand hielten, die
wenigstens eine zeitweilige Freistellung oder Kosten für die Fahrten, das Gehalt für den
Steuererleichterung bewilligt wird, ihr Zeit zu Gärtner und das Geld für die Lebensmittel, die
lassen und Gelegenheit zu geben, sich als le- wir nicht selber im Garten hatten: Erdnüsse,
bensfähig und erfolgreich in ihren Bestrebun- Eier, usw..
gen zu erweisen.”
Wenn wir irgendwo eine Spende herkriegten,
wurde das Geld dann woanders geführt, in
unserer sogenannten Luxuskasse. Von dem
Geld gingen wir im Monat mindestens
zweimal nach Kassel ins Theater. Wir haben
dann aber die billigsten Preise genommen
und oben auf der Treppe gesessen, anders
konnte man sich das gar nicht leisten. Wenn
jemand sich im Foyer dann noch ein bisschen
kaufen wollte, kriegte er seinen Fünfziger,
mehr hatten wir aber nicht in der Tasche. Wir
hatten ja überhaupt kein eigenes Geld und
haben uns glücklich gefühlt. Man sagte sich:
(64) Man muss die Zeit durchstehen und versuchen,
so billig wie nur irgend möglich herumzu-
Ein Schüler erzählt ein weiteres Beispiel dafür, kommen, damit recht viele durch diese Schule
wie gering die Mittel waren, die zur Verfügung hindurchgehen können.” (Willi Warnke)
standen:
Aus pädagogischen und finanziellen Gründen
war die Walkemühle in fast jeder Hinsicht
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