Page 56 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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In diesen Kursen, die meist von 14tägiger Dauer handlung solcher Fragen. So wächst langsam
waren, bekamen ISK-Mitglieder oder ihnen eine Ahnung davon, dass es möglich ist, kraft
nahestehende politisch Arbeitende Unterstüt- eigenen Denkens hier sicheren Grund zu fassen,
zung in ihrer praktischen Arbeit (Emmi Gleinig). und aus längerer Übung in der sokratischen
Die Kurse fanden getrennt vom übrigen Methode erwächst dann die Gewissheit jener
Schulunterricht im Akademiegebäude statt, Möglichkeit: das sichere Selbstvertrauen der
“denn die hatten für sich ihre Probleme.” Vernunft.
(Hedwig Urbann)
Der Weg dahin ist für die Erwachsenen mit
Einem Bericht der Gesellschaft der Freunde der besonders vielen Mühen gepflastert - wegen
Philosophisch-Politischen Akademie (GFA), der Menge der Vorurteile, die sie mitbringen. -
dem Finanzierungsverein der Walkemühle ist Für die Erwachsenen ist die sokratische Me-
dazu folgendes zu entnehmen: thode zunächst meist eine Schinderei: eine
Schinderei freilich, deren heilsame Wirkung
“Kurse: man bald spürt. Es war wohl auch auf dieser
Woche der ,Freunde der sokratischen Me-
Vom 18. bis 21. Mai 1932 fand in der Walke- thode’ der stärkste Eindruck, Kinder in sokra-
mühle ein Kurs mit rund 30 Lehrern statt. In der tischem Gespräch sehen, bei einem Thema,
ersten Hälfte des Kurses wurde die Frage der das der Erforschung nicht die Schwierigkeiten
Bekämpfung der Wirtschaftskrise unter der entgegensetzt, wie die Fragen der Religion, der
Leitung von Helmut v. Rauschenplat behan- Nation, der Erziehung. Dieses Mal hatten die
delt, in der zweiten Hälfte Schulfragen unter Kinder zwei Themen vor: eins aus der Geomet-
der Leitung von Rudolf Küchemann. rie und das andere: wie groß die Wurzel aus 2
ist. Ohne die Behinderung durch Vorurteile
Ebenfalls in der Walkemühle fand die vierte hantierten die etwa zwölfjährigen Jungen
Pädagogische Woche der ,Freunde der sokra- miteinander, mit einer Heiterkeit, einer so
tischen Methode’ statt, und zwar in der Zeit wohltuenden Ruhe, einer tiefen Vertraulichkeit
vom 6. bis 11. Oktober 1932. An der dritten mit den Dingen, die sie erst erforschten; alles
Woche hatten neunzig Personen teilgenom- das, ohne dass der Lehrer in das freie Spiel ihrer
men; zur vierten Woche lagen trotz der Krise Selbsttätigkeit eingriff, indem er sich etwa
erfreulicherweise wesentlich mehr Anmeldun- selber zu dem Thema geäußert hätte. Es ist
gen vor. Durch Ausladungen gerade solcher schwer, dies zu schildern, was so beglückend
Lehrer, die schon an mehreren Pädagogischen anzusehen und zu hören war, dass man stun-
Wochen teilgenommen hatten, wurde die Zahl denlang gespannt hätte zuhören können. Was
der Teilnehmer auf neunzig begrenzt, die in der hier in solcher Reinheit zum Ausdruck kam,
Hauptsache in vier Gruppen arbeiteten. ... Als enthüllte den tiefsten Sinn der sokratischen
Themen standen auf dem Kurs zur Diskussi- Methode: es geht um das heute fast ver-
on: ,Religion und Erziehung’ und ,Nation und schüttete Gut der Geistesfreiheit; das will die
Erziehung’. Beide Themen stellen heute jeden sokratische Methode fassen. Den freien geis-
ernsthaften Lehrer vor Entscheidungen; denn tigen Verkehr der Geometrie und Arithmetik
der Kampf um ein Reichsschulgesetz droht. Die treibenden Kinder dort zu sehen, das zeigt
nationalistische Bearbeitung der Jugend wird schlagartig, was durch den Ansturm der kirch-
von Staats wegen immer stärker erzwungen.... lichen und nationalistischen Reaktion auf die
Schulen vernichtet wird.” (62)
Es gelingt selten, in einem Anfängerkurs in
sokratischer Methode in der Lösung solcher
Probleme wie die der beiden genannten in
wenigen Tagen erheblich vorzudringen; zu
zahlreich sind die Vorurteile, die über solche
Dinge in den Köpfen festsitzen; zu groß die Damit ist das Kapitel über die Erwachsenen-
Verheerungen, die das Schlagwort und die abteilung in der Walkemühle zu Ende. Bevor
verständnislose Lektüre unverständlicher Bü- nun die Schule der Kinder beschrieben wird,
cher auf diesen Gebieten angerichtet haben. soll dargestellt werden,
Was aber bereits in einem Anfängerkurs gelingt,
ist die Erschütterung der Vorurteile, das
schrittweise Abbauen von Dogmen, das We-
cken des Sinns für Kritik, für gewissenhafte Be-
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