Page 67 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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Nicht dass Nelson persönlich eine große Distanz werden und hat dort eine abgeschlossene
zu Frauen gehabt hätte; er war sehr an Frauen Lehre als Landwirt absolviert.” (Willi Schaper)
interessiert.” (Gustav Heckmann)
“Ich kann in aller Ruhe sagen, Beziehungen Eine Mitarbeiterin Nelsons:
zwischen Männern und Frauen waren verboten,
und wenn es bekannt wurde, dann wurde “Die Frage der persönlichen Bindungen wurde
man von der Mühle verwiesen. Die Regel ha- als Hindernis für politische Arbeit angesehen.
ben wir uns selber gegeben, um der Deut- Ehepaare und gemütliche Kinderstubenat-
lichkeit halber, um in der Bevölkerung nicht die mosphäre gab es nicht. Wir hatten gesehen,
Rederei entstehen zu lassen: Mensch, das ist ein wohin das führt.
Puff, denn wir waren mehr weibliche Wesen als
männliche Wesen auf der Walkemühle. Es gab Leute in der Umgebung, die konnten
Es wurde auch rigoros verfahren. Wenn ir- sich das gar nicht vorstellen, dass im Däm-
gendwas bekannt wurde, musste derjenige die merlicht nicht genau das Gegenteil von dem
Mühle verlassen. Aus meiner Zeit kenne ich ei- getan wurde, was wir öffentlich vertraten. Es
nen einzigen Fall: Da gab es noch nicht einmal gab sicher auch junge Leute, die verliebt in-
Spannungen, ich sah den morgens früh mit einander waren, die dem aber nicht nach-
Gepäck aus dem Gebäude kommen, wo gegeben haben. Die Schule war frei von
unsere Koffer gestapelt waren. Ich Heuchlern. Manchen wurde es dann auch zu
sprach: ,Was ist denn mir dir los, wo willst du schwer, die verließen dann die Walkemühle
denn hin?’ Er sprach: ,Ich fahre heim.’ Zack, wieder und heirateten draußen.
weg war er. Da hat auch keiner mehr gefragt
weshalb. Aber wir haben uns auch in dieser Alles Tun in der Walkemühle stand in Verbin-
Beziehung alle schwer am Riemen gerissen und dung mit dem Erwerb von Fähigkeiten für die
in der Gewalt gehabt.” (Willi Warnke) politische Auseinandersetzung draußen, fähig
zu werden, den drohenden Nazismus abzu-
“Die sexuelle Frage war für uns tabu, völlig wenden. Hitlers Buch ,Mein Kampf’ war uns
ausgeklammert, sie wurde einfach totge- bekannt, wo ja schon genau drin stand, was
schwiegen, es war selbstverständlich. Ich hab alles mit den Juden geschehen sollte.” (Nora
eine gute Nase und gute Ohren. Zwischen Platiel)
denen, wo was war, gab es bestimmt keine
sexuellen Beziehungen. Wir lebten so dicht
beieinander, da merkt man das ja. Der eine
hatte zu dem anderen etwas nähere Bezie-
hungen, wie zur Gesamtheit, da war aber alles
platonisch.” (Helmut Schmalz)
“Einige haben die strengen Forderungen dann
nicht durchgestanden. Bei einer Exkursion auf
das Land ist ein Junge auf dem Bauernhof
geblieben und hat die Tochter des Bauern
geheiratet.” (Emmi Gleinig)
Diese Begebenheit hat sich als Gerücht er-
wiesen, aber Bestehen und Wachsen dieses
Gerüchts sind möglicherweise auch Ausdruck
der Gefühle und Phantasien, die man unter
den strengen Bedingungen hatte. Ein Helfer
stellte die tatsächliche Begebenheit dar:
“Der dort Genannte ist nicht wegen der
Tochter des Bauern wieder in das Dorf ge-
gangen, hat sie auch nicht geheiratet. Ich war
und bin sehr mit ihm befreundet und konnte
auch erst vor einigen Jahren diesen allgemein
verbreiteten Irrtum aufklären. Er wollte Bauer
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