Page 36 - Rudolf Giesselmann - Landerziehungsheim Walkemühle
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kaltherzig abgewiesen mit der Bitte, die Kunst      der dazu nötigen Festigkeit, lasse er sich zu
            des Gedankenlesens beiseite zu lassen und sich      angeblichen Erleichterungen bewegen oder
            statt dessen lieber einmal um die bescheide-        führe er sie selbst herbei, um die Gefolgschaft
            nere Kunst zu bemühen, das, was man sagen           festzuhalten, so habe er sein philosophisches
            will, auch wirklich zu sagen.                       Ziel bereits verraten.”

            Aus dem Gesagten geht schon hervor, dass die        Zum  Schluss  seiner Rede beschreibt Nelson
            Untersuchungen keineswegs steif verlaufen. Es       dann noch die Notwendigkeit, auch in der
            springen Fragen und Antworten durcheinander.        Mathematik sokratisch zu unterrichten,  hier
            Manche verstehen die Entwicklung, manche            nicht so sehr als wissenschaftliche Methode der
            verstehen sie nicht. Diese suchen dann durch        Erkenntnis überhaupt, wie in der Philosophie,
            tastende   Zwischenfragen    die  Verbindung        sondern einfach um einen sinnvollen, auf Ver-
            wieder herzustellen. Aber die anderen drängen       stehen gründenden Unterricht zu ermöglichen.
            darauf, sich in ihrem Gang nicht aufhalten zu
            lassen. Sie übergehen jene Fragen. Da tauchen       Damit beendet Nelson seinen Vortrag.
            neue, verständnislosere Fragen auf. Schon
            beginnen Einzelne zu schweigen. Es schweigen
            ganze Gruppen. Dazwischen geht die Unruhe
            der immer zielloser werdenden Fragen. Selbst
            die anfangs noch Sicheren lassen sich dadurch
            verwirren. Sie verlieren gleichfalls den Faden.
            Sie wissen nicht, wie sie ihn wiederfinden sollen.
            Endlich weiß niemand mehr, wohin die Aus-
            sprache steuert.

            Die schon bei SOKRATES berühmte Verwirrung
            ist eingetreten. Alle sitzen ratlos da. Das an-
            fangs Gewisse ist ihnen ungewiss geworden.
            Anstatt Klarheit in ihre Vorstellungen zu bringen,
            fühlen sie sich der Fähigkeit beraubt, durch
            Denken überhaupt irgend etwas klarzustellen.”

            Es gelte, die Schüler “in die Irre zu schicken, um
            die Überzeugungen zu erproben, um das nur
            übernommene Wissen von der Wahrheit zu
            sondern, die nur im eigenen Nachdenken
            langsam in uns zur Klarheit reift.”

            Hier mache die sokratische Methode dann “nur
            das Unheil offenbar, das als Folge des dog-
            matischen Unterrichts in den Köpfen ange-
            richtet ist.”

            “Denn der dogmatische Unterricht hat es leicht,
            sich zu höheren Regionen zu erheben. Da ihm
            an der Selbstverständigung nichts liegt, erkauft
            er seinen Scheinerfolg mit einer immer tiefer
            wurzelnden Unredlichkeit.”

            Die sokratische Lehrmethode wird von Nelson
            als “große Anstrengung des Willens” und “harte
            Arbeit”  beschrieben,   wo   “Feuerwerk   des
            Geistes” genauso unfruchtbar sei, wie Geistes-
            stumpfheit. Sache des Leiters sei es, die nun
            einmal  unerlässlichen  Forderungen an den
            Willen unnachgiebig hochzuhalten, aus Ach-
            tung vor dem Schüler selbst. Fehle es ihm an

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